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Shshshshift.
Eine queere clubarbeitende Klasse zwischen Lust und Widerspruch
14x21 cm, deutsch
2024
edition assemblage
20 Gespräche mit Clubarbeitenden, kontextualisierende Fußnoten
und einleitender Essay
Schicht (de) beschreibt die Schichtarbeit, die durch ein lineares Zeitverständnis eingeteilt und strukturiert ist und seit jeher einen Regulierungs- und Disziplinierungs Mechanismus für die arbeitende Klasse darstellt. Physische Arbeit, zu wechselnden Bedingungen und in Bezug auf das gesellschaftliche Leben zu konstant atypischen und asynchronen Zeiten. Routinen und Abläufe in ständiger Bewegung und Koordination. Eine soziale Choreografie der Arbeitenden, die auf demselben Arbeitsplatz über die Zeit durchwechseln.
Shift (en) bedeutet Veränderung der sozialen Verhältnisse in unsicheren Zeiten, einen vibrierenden Korridor der Perspektive, eine transversale Auffassung von Realität, Transformation, die nicht neoliberal verwertet werden kann und nicht innovativ ist, sondern eine andere Orientierung und Aufwertung des Handelns darstellt, die sich auf Erfahrungen bezieht, statt auf Konzepte. Ein gleitender Paradigmenwechsel, der nichts (progressiv) Revolutionäres oder (konservierend) Spektakuläres hat, sondern sich als ein Driften, als ein Verschieben von Wahrnehmungen und Bedingungen, als Dissoziieren von der Welt bemerkbar macht. Und somit queerem Club- und Rave-Erleben als sogenanntes World-making und als ein Imaginieren und Leben von dissidenten und dissonanten anderen Realitäten nicht unähnlich ist.
Shshshshift ist Vibration, bpm, dumpfe Lautstärke, fragmentierter Schalldruck, das Gefühl in der Magengrube am Rande der Tanzfläche aufgrund des pumpenden Basses, ein lautmalerischer Ausdruck. Ein von Betonwänden gebrochener, teilweise absorbierter, unscharfer Klang, vom Raum beeinflusst und gefiltert, nicht so klar, wie für die Ravenden auf der Tanzfläche, sondern unperfekte Sound-Bedingungen, wie sie von den Arbeitenden an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen im Club wahrgenommen werden. Synthetische Beats eines treibenden, funktionalen Techno als auch menschliche Beats, die vom Tanzen erhöhte Herzfrequenz der Ravenden, die in den Zwischenzeiten der eigenen Bewegungslosigkeit im Herzschlag der Arbeitenden einen Ruhepuls findet. Der Club als Ort und Sound, als Symbiose von Raum, Klang und Körpern, abhängig von den Gegebenheiten des Ortes und des Soundsystems, den Reflektionen des Betons, den sozialen Vibes der Crowd — ein physisch spürbares, waberndes und treibendes Gemisch des 4-to-the-floor, den Clubarbeitende nur dreckig, verzerrt und beiläufig wahrnehmen, weil sie an den Rändern des Zentrums, des Dancefloors, arbeiten. Clubarbeit ist vornehmlich körperliche, anstrengende Arbeit, lustvoll getaktet und durchdrungen vom Beat, der ähnlich präzise wie die Zeit und doch ganz anders diese Arbeit im Hintergrund strukturiert und sie zudem mit den Ravenden und deren Realität synchronisiert.
Shshshshift als Verschiebung der Dimensionen: Eine Schicht(ung) von Sounds und Layern der Arbeit, des Vergnügens, der Leidenschaft und der Freude. Eine Geschichte ohne Kontinuität, die mit dem Berliner Mauerfall und der sogenannten Wende an Intensität gewinnt, von vermeintlicher Freiheit und den schnell folgenden (Ent)täuschungen erzählt und die von queerer Sozialität als energetischen transversalen Vektor in einer kommerzialisierten und kapitalisierten Gegenwart aufgegriffen und fortgeführt wird.
Shshshshift steht für die Dringlichkeit des Handelns in einem Glitch in Zeit, Raum und physischem Dasein und erinnert uns an die fließenden Grenzbereiche von transidentitären Mehrfachbelastungen, die unauflösbare Verstrickung von queerer und nicht-queerer Identität in einem post-homosexuellen Kontext, wobei wir uns besonders auf die sublimen, aber nicht subtilen internalisierten Auswirkungen von Klassenfragen konzentrieren.
Shshshshift benennt sozial-kulturelle und ökonomische Aspekte von Clubarbeit, indem institutionalisierte und internalisierte Diskriminierung und Gewaltausübung und hegemonialgesellschaftliche Ausschlüsse adressiert werden. Ein Verhandeln von Strategien und Taktiken der Orientierung und Praktiken des solidarischen Handelns, die sich in Verhaltensweisen zeigen, die sich mitunter nicht um Normen scheren, sondern den gesellschaftlichen Status Quo verändern und den Kontext des Möglichen erweitern wollen. Das ist allen drei identitären Kategorisierungen gemeinsam, mit denen wir uns befassen: Klasse als Praxis der Arbeit und der Produktionsverhältnisse und deren hierarchisches Verhältnis von unten und oben, Subkultur als Praxis des Widerstandes und Anti-Haltung gegen das Establishment und doch in dessen sozialen Konstrukten verhaftet, Queerness als grenzüberschreitende Praxis der Transformation eines dazwischen und außerhalb, das sich einem binären System verweigert und den Bias auflöst. Die gemeinsame Betrachtung dieser Kategorisierungen ergibt ein präziseres Bild der Verhältnisse und der Kräfte, die in der Gesellschaft wirken und die auf queere, marginalisierte und subalterne arbeitende Subjekte einwirken. Queere Praxis ist somit weit mehr als ein identitätspolitischer Kampf, sondern vor allem soziale Haltung und Handlungsfähigkeit, eine Praxis der Sichtbarmachung und Aktion und damit durchaus mit Klassenkämpfen vergleichbar. Die Arbeiterschicht kann über queere Taktiken ihre eigene Verstricktheit und Handlungsunfähigkeit aus einer anderen Perspektive unter Umständen besser begreifen und sich bewusst werden, dass das unterdrückende System überwunden werden muss, dass es allerdings nicht reicht, es duch ein weiteres, linkes, sozialistisches, kommunistisches oder wie immer geartetes Machtsystem zu ersetzen, wo zwar die Produktionsverhältnisse und Besitz (um)verteilt, aber deshalb Prekarität und Machtstrukturen und -dynamiken nicht aufgehoben sind.
Shshshshift erzählt uns auch von unvermittelter queerer Lebensrealität, von nicht-linearer und individueller, situationsabhängiger Erfahrung von Zeit und Dauer, von freiwilligen (etwa durch Substanzen) und forcierten (durch die Gesellschaft) Verschiebungen der Wirklichkeit, Deformierungen, Differenzen und impulsiven Energien des Miteinander. Von Community-Building und World-Making aus dem Innenraum von Un- und Nicht-Orten heraus. Von Differenzen mit belastenden Erfahrungen in der Gesellschaft und von der Notwendigkeit von Orten, wo wir Schutz finden und wir selbst sein können, wo wir die Anerkennung bekommen, die uns in der Gesellschaft verwehrt bleibt. Von Orten, wo wir Andere werden können, eingebettet in eine fürsorgliche Gemeinschaft. Von Freude, Verletzlichkeit und lustvollen Erfahrungen, von Vergessen, Verdrängen und der Courage zu (über)leben. Vom Nicht-passen, von Dysphorien, Dissoziieren, und Auflösen der Form, aber auch von Widerspenstigkeit. Von Trauer und Verlust, von der Kommerzialisierung dieser queeren Räume, der Politik, die für die Mehrheiten gemacht wird, von medialer Hetze, von Angst und auch von identitären Überschneidungen innerhalb unserer Communities, von Wohlstand und queeren Mittelklasse-Privilegien, von akademischer Bildung und neoliberalen Vorstellungen mit denen Druck auf die queeren Club-Arbeiterklasse ausgeübt wird.
Shshshshift stellt einen fortwährenden, zaghaften und erratischen Versuch dar, Licht auf etwas zu werfen, das zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren in Club- und Ravekontexten oszilliert. Diese wenig beachteten (inter)persönlichen (Arbeits-)Beziehungen definieren den Kern unserer subkulturellen und queeren Gemeinschaften. Eine sensible und intime Annäherung aneinander in Gesprächen, Beobachtungen, Dialogen, Fragen, Diskussionen, Reflexionen mit und von Berliner (queeren) Clubarbeitenden, die deren subjektive Erzählungen und Erfahrungen aus der Arbeiterklasse-Perspektive zentrieren und dabei Mehrfachbelastungen, Anerkennungskämpfe, Dauerkrisen, Migration und soziale Mobilität – die immer auch materielle Gründe haben – aufschlüsseln.